Zyklongrander vor Rodrigues

Einem Tagtraum gleich, laufen die Bilder der wundersamen Geschehnisse am 30. Januar 2007 immer wieder vor meinem inneren Auge ab. Jetzt muss das Schreiben helfen – vielleicht schaffe ich es ja irgendwie Euch an meinem phantastischen Erlebnis teilhaben zu lassen.

Die Vorgeschichte: Im Herbst 2006 juckte meinem alten Angelpartner und Freund Robert Rein und mir wieder mal das Anglerfell bzw. der Zwang: „Sofort ans Meer“ hatte uns wieder voll gepackt. Unsere Zeitplanung: Januar bis Februar; Ziele: Entweder Indischer Ozean oder die Pazifikseite Mittelamerikas? Unsere Wahl nach langem hin und her: ein paar Tage Popperfischen und Jigging auf Rodrigues und danach Marlinangeln auf Mauritus.

Ausschlaggebend für die Wahl war aber letztendlich unsere neue Leidenschaft: Das Poppern auf Giant Trevallies! Unser Klassenziel auf Rodrigues: Poppern und GTs drillen bis die Arme schmerzen; Jigging bis ein Hundezahntunfisch hinlangt und vielleicht, wenn es ganz gut läuft, bei einem Zweitagestrip auf die dortigen Unterwasserberge einen Schwertfisch!? Die Marline sollten dann auf Mauritus aufs Korn genommen werden.

Ein kurzes Stoßgebet an den Gott der Winde und des Meeres und auf ging es am 26. Januar über Mauritius nach Rodrigues. Ein angenehmer Flug nach Rodrigues und das Wetter macht auch einen recht ordentlichen Eindruck; leicht bewölkter Himmel, aber vom Flugzeug aus sind auf See kleine Schaumkronen auszumachen!? Auf dem Flugplatz werden wir von Skipper Yann Colas freudig empfangen; auf der Fahrt zum Hotel kommt aber ein etwas pessimistischer Unterton rüber: „Ein Tropischer Sturm in Nordost … aber noch weit weg … die See ist auch etwas ruppig … aber es wird schon werden und mit Seekrankheit habt ihr doch auch keine Problem…?“ Am Abend beim Poppern vom kleinen Boot aus, spüren wir dann hautnah was Yann meinte – hier herrschen beste Bedingungen zum Wellenreiten, aber zum Poppern ? Trotzdem läuft es recht ordentlich.

1. Ausfahrt mit der BLACK MARLIN

Unser Zielgebiet liegt nordöstlich von Port Mathurin, also in Richtung „Tropischer Sturm“ – aber was soll es, dort liegt das Hauptfanggebiet. Na ja, 5er Wind und Wellen bis maximal 3 Meter – die BLACK MARLIN mit ihren 500 PS und 50 Fuß Länge kommt gut dagegen an und die Kunstköder laufen auch noch ordentlich. Unser Tagesfang: 1 Blue Marlin ca. 120 LB. (C+R), 1 Riffhai ca. 250 LB. (C+R) – griff übrigens einen Lure an und kämpfte ordentlich, 2 Cubera Snapper, ein schöner Rainbowrunner, dazu mehrere Wahoos und Goldmakrelen – aber mehr davon und vom Poppern am Riff in einem Folgebericht.

Am Abend kommt Yann nochmals im Hotel vorbei und zeigt uns die aktuellen Satellitenfotos: Der Tropensturm heißt jetzt „Zyklon Dora“, lädt sich auf hoher See immer mehr auf und kommt langsam, aber stetig in Richtung Rodrigues. Für morgens ist bereits Warnstufe 1, 6er Wind angesagt und Wellen bis maximal 4 Meter. Wir müssen Yann mit etwas Nachdruck daran erinnern, dass wir nur diese Woche da sind und uns das „bisschen Wackeln“ nicht stört. „Also gut, dann bis morgen früh … aber in den Windschatten der Insel müssen wir … bei Zyklon-Warstufe 2 geht es aber sofort zurück…“.

2. Ausfahrt, 30 Januar 2007:

Bereits kurz nach der Hafenausfahrt packt uns die See und recht ruppig geht es in Richtung Süd-West. Unsere leichteren Kunstköder laufen bei solchen Wellen nicht mehr gut; wir packen die schweren und größeren Kaliber aus und lassen auch nur noch vier Stück laufen. Nach zwei Stunden sind wir im Windschatten der Insel angekommen, Boot und Köder laufen ruhiger. Gegen 10:30 kommt dann aber über Funk: „Zyklon-Warnstufe 2 … sofort zurück!“

Wer schon einmal einen Zyklon erlebt hat, wird dessen Vorzeichen niemals vergessen: Der Luftdruck fällt extrem schnell; der Wind wird schwül bis heiß und die Wetterfront scheint graublau über gelb bis grün. Eine bedrohliche und unwirkliche Stimmung breitet sich aus – feinfühligere Naturen riechen und spüren die Lebensgefahr! Um 11:00 Uhr ohne Vorzeichen ein heftiger Streik auf einen unserer Softheads – Roberto ist dran: Nach 20 Minuten ein Black Marlin mit gut 300 LB. – Gott sei Dank sind wir nicht Schneider! Wir buchen jetzt schon über Handy unsere Tickets um – ab in die nächste/letzte Maschine und nix wie weg!

Gegen 12:30 erneut ein Strike, wiederum ohne Vorzeichen auf meine Stand-Up-80er. Nach kurzer Flucht steht der Fisch einige Sekunden still – jetzt geht er aber dafür ab wie eine Rakete; die Leine schießt von der Rolle. Die See am Horizont scheint zu kochen. Der mächtige Marlin springt wild von rechts nach links und peitscht das Wasser. Yann versucht rückwärts zu fahren, bei diesem Seegang ein mühsames Unterfangen. Er wendet deshalb das Boot; ich stelle mich seitlich unter den Ausleger und im spitzen Winkel fahren wir langsam dem Fisch hinterher. Jetzt sind wir nur noch ca. 200 Meter vom Fisch entfernt – er gibt aber jetzt erneut wieder Vollgas und springt mehrere Minuten wild umher. Ich habe mittlerweile die Bremseinstellung auf ca. 25 kg hochgeschoben – volles Risiko! Mit Hilfe der Wellen versuche ich den Fisch Meter für Meter ans Boot zu bekommen – es scheint zu klappen. Hoffentlich taucht er nicht doch noch in die Tiefe und stirbt. Die Riesenwellen, bzw. die Gefahren ringsum nehme ich gar nicht wahr – alles passt trotzdem. Mein Bewusstsein nimmt nur noch wahr und kontrolliert: Nicht umfallen, Rute gebogen und dabei kurbeln und Abstand zur Reling halten.

Jetzt kommt der Doppelleinenknoten – der Fisch ist jetzt hinter dem Heck; ich höre Rufe: „Gigantisch … ist das ein Kracher …“. Der Fisch schwimmt jetzt mehrmals schnell von Back- nach Steuerbord – ein extrem kritischer Moment. Jetzt versucht er nochmals in die Tiefe zu flüchten – die Bremse steht immer noch auf „Full“; zusätzlich bremse ich mit beiden Händen am Spulenrand.

Der Fisch kommt langsam an die Oberfläche; er ist zu oft gesprungen und kann wohl nicht mehr in die Tiefe. Wieder kommt der Wirbel aus dem Wasser; noch einmal schwimmt er von Back- nach Steuerbord.

Jetzt legt er sich auf die Seite; die Jungs setzten blitzschnell ein Flying Gaff und sichern den Fisch mit einem Tau – es ist vorbei! Kurzes Schweigen – jetzt steigen die Schätzungen von 600+ auf 800+. Aber niemand traut das Wort „G….“ auszusprechen.

Nach einigen Minuten haben wir die Situation wieder im Griff: Der Fisch passt nicht durch die „Marlintür“ am Heck und einen Flaschenzug haben wir auch nicht mit. Wir binden ein Tau um das Schwert und ziehen es durch die Kiemen. Wir versuchen zu fünft den Marlin auf die Heckplattform zu ziehen – nach einer Viertelstunde liegen wir erschöpft auf Deck. Was nun; der Marlin blutet stark – jetzt ein Haiangriff… ? Nach einer Dreiviertelstunde sehen wir große Wellen aufs Heck zu rollen – noch einmal auf die Zähne beißen, auf drei alle zusammen: Der Marlin liegt endlich zumindest mit Schwert und Kopf in der Tür und auf der Plattform – so kann es klappen.

Langsam fahren wir mit einem riesigen Fisch im Schlepp nach Hause. Über Funk organisiert Yann alles was noch zu einer würdigen Marlin-Präsentation gehört. Colas Senior hat den besten Platz ausgewählt und vorbereitet; eine große Menschenmenge und die Presse warten schon auf uns.

Jetzt geht es schnell; ein großer Gabelstapler packt die um die Schwanzwurzel gebundene Seilschlinge; wie gebannt schauen wir auf die Digitalanzeige der Waage; der Gabelstapler fährt langsam hoch: 100 – 200 – 300 – 400 – 500, Applaus bricht aus; die Waage bleibt bei 561,5 kg (umgerechnet 1238 lbs, potentieller Weltrekord) stehen!!

Stephan Kreupl im Februar 2007