Marlinalarm vor Sao Miguel

Azoren im September 2011

Erstmals schreibe ich das Erlebte nicht mit der schwingenden Feder und dem Herzblut des leidenschaftlichen Anglers, sondern mit den Augen bzw. aus dem Blickwinkel eines Bootsmanns. Aber ich bin mir sicher, dass die eingefügten Fotos alleine ausreichen, um die Anglerherzen meiner Leser schneller schlagen zu lassen.

Wie Alles begann: Über Gerhard lernte ich 2010 Peter kennen; er lebt seit Jahren auf den Azoren und durchpflügt dort mit seinem Boot MEA die Fischgründe. Peter und Gerhard waren auch bereits in 2010 und 2011 mehrmals miteinander auf Tuna und Marlin unterwegs. Dann im Frühjahr 2011 konnten mich die beiden überreden ihnen im September zur Seite zu stehen, genauer: Ich „heuerte ohne Heuer“ für drei Wochen als Meeresangelberater und Bootsmann auf der MEA an. Für mich bot sich so auch die ideale Gelegenheit unser komplettes BWF-Lure-Programm einmal ausgiebig auf Herz und Nieren zu testen! Nachdem die beiden mir ihre bisherige Angelstrategie und Techniken beschrieben und erklärt hatten, war mir klar, dass Peter unbedingt seine MEA mit Outrigger ausstatten musste. Ich erklärte mich auch bereit, die Konstruktion und die Beschaffung des Materials zu übernehmen. Im August besuchte mich Peter in München und nahm die Outrigger und was meines Erachtens sonst noch an Bord der MEA so fehlte mit nach Sao Miguel. Ich denke, Peter und ich haben das mit den Outriggern recht ordentlich hinbekommen und wie die Praxis später zeigte, halten unsere „Selfmade-Outrigger“ auch etwas aus!

Die Situation bei meiner Ankunft: Leider meldeten die Berufsfischern keine Big Eye Tunas in einer für uns erreichbaren Entfernung; auch die Bonito-, Goldmakrelenschwärme und Wahoos fehlten. Aber! In den Angelläden und in der Marina sprach man von einigen gefangen Weißen Marlinen und von guten Marlinfängen auf den Nachbarinseln.

Die Wetterlage erinnerte mich an Mauritius vor oder nach einem Zyklon, soll sagen: Extrem schwül-warm, windig und mit mehreren kurzen starken und warmen Regenschauern am Nachmittag; meines Erachtens ist das ideales Marlinwetter!? Peter und Gerhard gefiel diese Wetterlage überhaupt nicht: „Sind bei solchen Wellen Marlinstrikes überhaupt möglich?“ Ich erzählte ihnen von meinen Erlebnissen auf Mauritius, Rodriguez und den Kapverden: „Die Marline stört das nicht, solange die Lures noch richtig laufen!“ und beruhigte so die Jungs.

An Bord der MEA: Nur bei den Lure-Montagen und den Gaffs hatte ich etwas auszusetzen bzw. musste ich etwas nachbessern, neu montieren und improvisieren. Die (damaligen) Vorstellungen meiner Teamkameraden in Bezug auf Drill und Landen von Großfischen mit schwerem Stand-Up-Gerät schien sich bis dato leider nur auf die Rollen- und Rutenbeschriftungen und aus der „Welt des Internetangelns“ zu beschränken – aber das sollte sich schon bald schlagartig ändern! Peters Revierkenntnisse sind bestens, seine Plotter-Vorbereitung war vorbildlich und sein Boot beherrscht er exzellent. Auch fing er bereits in den Vorjahren einige kleinere Marline und mehrere Big-Eye-Tunas.

Das Angelteam: Gerhard war bei den ersten sechs Ausfahrten als Angler, Drillskipper und Fotograf mit von der Partie. Christa war ab 14. September als Fotografin, Betreuerin und Drillskipper (tageweise) mit an Bord. Peters Azoren-Angelspezl Valter half (leider nur) an den Samstagen als Wireman und Angler aus. Peter war unser Skipper, Bootsmann, Angler… – und das oft alles in einer Person!
Unsere Hauptfanggebiete waren die zirka vier und 12 Seemeilen entfernte Untiefen „Jose Caspar“ und „Mar Da Prata“. Das bedeutete für uns als Hauptziel „Mar Da Prata“: Wir mussten aus dem Windschatten der Insel heraus und waren gut eine Stunde unterwegs.

Am 6. September ging es dann endlich los. Gegen alle meine Grundsätze verstoßend, sagte ich bereits nach zwei Seemeilen Marlinstrikes voraus. Die Stunden vergingen ohne Fischkontakt; Gerhard und Peter fingen an zu sticheln und auch an meiner (für sie zu) bootsnahen Lureformation rum zu nörgeln. Endlich! Gegen vier Uhr kamen kurz hintereinander zwei Marlin-Strikes. Ich sah beide Fische kommen und es waren auch keine Kleinen. Poseidon sei Dank, es waren tatsächlich Marline da – mir fiel ein Stein vom Herzen! Keine Viertelstunde später kam der dritte Strike und nach einer Stunde verlor Gerhard seinen ersten Marlin kurz hinter dem Boot.

Um halbsechs kam der vierte Strike und Gerhard drillte dreieinhalb Stunden, bis ich das Vorfach endlich packen konnte. Es war mittlerweile stockdunkel geworden und zur Sicherheit kappte ich den Leader. Obwohl ich den mächtigen Marlin dabei nur schemenhaft wahrnehmen konnte, legte ich auf meine erste Schätzung von 600 noch 150lb. drauf.

Da uns der an der Badeplattform angeschraubte Reserveaußenborder während des Drills große Probleme bereitete bzw. ich mehrmals die Leine wegdrücken und auch aus der Motorhalterung und sogar aus dem Propeller fummeln musste, war unser Beschluss einstimmig: Weg damit! Mit vollstem Vertrauen auf die Ingenieurskunst der VW-Motoren Konstrukteure ging es weiter – die Älteren unter uns werden sich bestimmt noch an die Werbung erinnern: „Er läuft und läuft und läuft“ – stimmt tatsächlich immer noch!

7. September: Den ganzen Tag über hatten wir nur ein Hook-Up und diesen Fisch verloren wir dann auch noch nach einer halben Stunde.

8. September: Da wir schon nach fünf Seemeilen große Wassermengen fassten, kehrten wir schleunigst um!

9. September: Die See hatte sich zwar über Nacht etwas beruhigt aber trotzdem waren wir zeitweise immer noch als „U-Boot“ unterwegs. Leider blieben auch die Strikes aus und wir beschlossen erneut vorzeitig abzubrechen. Gerhards „Chancen-Uhr“ tickte – er hat nur noch einen Angeltag vor sich.

10. September (Samstag): Leider immer noch ruppige See, aber Boot und Lures liefen trotzdem gut; auch rührte sich etwas in unserem Hauptfanggebiet: Vögel, Köderfischschwärme und viele jagende Delphine überall um uns rum. Gegen zwei Uhr dann ein Doppelstrike: Gerhard fing endlich einen +250lb. Blue Marlin.

Der Zweite „wartete“ zwischenzeitlich auf Tiefe und Abstand; leider hatte er sich dabei scheinbar im Leader verwickelt bzw. Peter musste ihn gegen seine Schwimmrichtung, sozusagen „rückwärts“  drillen – das war ein extrem harter Kampf! Da der Marlin tot ans Boot kam, war an Releasen nicht mehr zu denken …

12. September: Des schlechten Wetters wegen, mussten wir im Windschatten der Insel bleiben. Leider fingen wir nur Barrakudas;  die man dort auf bestimmten Positionen/Strecken auf Ansage und so viel man will fängt!

13. September: Schlechtes Wetter bzw. Starkwetter machten eine Ausfahrt unmöglich.

14. September: Ab Mittag kamen zwei Hook-Ups von Fischen um 500lb.; beide Fische verloren wir leider nach kurzem Drill. Bei der Heimfahrt kam dann doch noch ein weiterer Hook-Up. Leider kam der Fisch beim Leadern unter das Boot und die Schraube verletze ihn am Bauch. Nur deshalb gafften wir den Fisch. Christa war übrigens während der ganzen Zeit unser Drillskipper!

15. und 16. September: Sinnflutartige Regenfälle und Starkwind zwingen uns an Land zu bleiben.

17. September: Endlich war Valter wieder mit von der Partie! Vier Hook-Ups und drei mittlere Marlin releast – das war unser Toppergebnis!

19. September: Peter und ich waren allein an Bord; gegen elf Uhr kam der erste Marlin Strike; dann nach langer Pause gegen halbvier Strike Nummer zwei. Keiner von uns sah den Strike. Der Fisch ging dann sofort auf Tiefe und unsere 80iger Ausrüstung wurde dabei beinahe gespult. Wir fuhren hinter dem Marlin her, ohne dass dabei der Fisch seine Tauchtiefe änderte. Ich hatte solches Verhalten bisher nur bei großen Blue Fin Tunas erlebt – aber dafür war der erste Run des Fisches zu schnell und lief zu weit. Der Fisch zeigte auch nach Stunden keinerlei Reaktion bzw. änderte sein Fluchtverhalten nur unwesentlich. Wir waren hilflos und dann schlitzte er nach mehr als drei Stunden (endlich) aus. Im Nachhinein betrachtet nehme ich an, dass wir damals einen großen Marlin an der hinteren Rückenflosse hakten!?

20. September: Bereits kurz hinter der Hafenausfahrt fuhren wir erneut „U-Boot“; und deshalb ging’s sofort wieder zurück in die sichere Marina.

21. September: Wir versuchten gezielt unser Glück auf Weißen Marlin; es klappte tatsächlich und wir erlebten zwei Hook-Ups und ich fing (endlich)  meinen Ersten Weißer!

22. September: Es ging weiter auf Weiße Marline und zwei Hook-Ups auf meinen „White-Marlin-Lure“ waren unser Lohn!

23. September: Wir hörten von Big Eyes und versuchten deshalb unser Glück auf Tuna. Dabei lief nur ein Grander 1238 als Teaser (mit Haken) hinter dem Boot. Gegen ein Uhr tauchte plötzlich ein Marlin hinter der MEA auf und stürzte sich zielsicher auf unseren, keine fünfzehn Meter hinter dem Boot laufenden „Teaser-Smoker“. Christa war (leider) zu Hause geblieben; das hieß: Ich war gezwungenermaßen Skipper und Wireman in einer Person und Peter musste mit seiner 14/0er Everol Stand-Up drillen! Nach gut einer Stunde konnten wir den 500lb. Marlin trotzdem relativ einfach schnell releasen – Glück gehabt!

24. September, mein letzter Angeltag: Valter war wieder mit von der Partie. Peter und ich beschlossen kurzerhand, dass Valter endlich seinen ersten Marlin als Angler fangen musste. Das Wetter war schön, die See ideal. In der Nähe der Untiefe „Jose Caspar“ kam der erste Strike; nach fünf Minuten hakte der Fisch leider aus. Ab Mittag ging es dann Schlag auf Schlag: Sieben Strikes, fünf Hook-Ups – Valter musste dabei viermal ran bzw. quälte sich ohne zu murren mit 130er Gerät Stand-Up stundenlang herum; leider verlor er schuldlos alle Fische.

Gegen drei Uhr kam dann erneut ein Strike und das, wie soll es anders sein, auf unsere einzige 80er! Valter drillte eine gute Stunde im Schweiße seines Angesichts und an der Grenze seiner psychischen und physischen Belastung.

Dann bekam ich endlich den Leader zu fassen und sah sofort, dass der Haken tief im Auge steckte und das Vorfach mehrmals ums Schwert gewickelt hatte. Unser Entschluss war einstimmig: Dieser Fisch sollte wohl in den Kochtöpfen der Azoranern landen. Valter war an diesem Tag der glücklichste und zufriedenste Angler auf der Welt!

Die eingesetzten Bluewaterfishing Lures und meine Montagen:

Die erfolgreichsten BWF-Lures: Grander 1238 rot/schwarz und Big Smoker grün/lumo/rot. Meine Lures hatte ich nur mit Einhaken-Montagen montiert.

Unsere Statistik: 27 Marlin-Strikes, 23 Hook-UPs, 15 am Boot und das bei nur zehn Ganztages-Ausfahrten in unser Hauptfanggebiet „Mar Da Prata“. Vier konnten und wollten wir – die Azoraner essen sehr gerne Marlinsteaks! – nicht mehr releasen.

Obwohl es etwas sonderbar klingen mag: Vor Sao Miguel erlebte ich unsere Hook-Ups, Runs und Drills als brutal, weit und hart – aus welchem Grund auch immer, scheinen die Azorenmarline härter zu kämpfen!? Auch glaube ich, dass die MEA durch ihre relativ kleine Silhouette und ihren 150PS VW-Turbodiesel die Marline anlockt!? Nach den drei (für mich mit 55 Jahren) sehr harten Wochen, bin ich letztendlich nicht nur auf unseren Erfolg etwas stolz sondern auch darauf, dass dieses Abenteuer ohne größere Verletzungen, Verlusten und Sachschäden ein gutes Ende fand – für uns Amateure nicht schlecht oder?

Was passierte mit den gegafften Marlinen: Sie gingen als Spende an eine caritative Stelle und an bedürftige Familien in Peters und Valters Umfeld.

Das Drumherum auf Sao Miguel: Ich kam mir vor wie im Alpenvorland plus Meer drum rum. Die Stadt Ponta Delgarda bietet alles, was eine kleinere deutsche Stadt auch bietet; die historische Altstadt hat ihren besonderen Scharm! Weltkulturerbe wird die „Azorenesskultur“ wohl nie werden, aber satt wird man. Ich denke wer gerne wandert und ggf. auch die Nachbarinseln besucht, wird auch als Nichtangeler von den Azoren begeistert sein und nicht zu vergessen: In gut vier Stunden ist man mit dem Flieger dort!

Schau ma mal wie das mit Peter und seiner MEA weiter geht. In jedem Fall werde ich, falls Peter das wünscht und auch erfahrene und leidensfähige Stand-Up-Angler mit von der Partie sein werden, wieder für die Marlinsaison 2012 auf der MEA anheuern!

Robert Rein im Oktober 2011