Herausforderung Ebrodelta

»Spanien im Oktober 2008«

Lieber Leser,

beim Schreiben dieser Zeilen gehe ich davon aus, dass Du bereits andere Ebrodeltageschichten kennst, vielleicht sogar schon einmal dort warst oder zumindest im Internet oder in „Big-Game-Foren“ über das Delta gelesen hast. Deswegen gleich meine Meinung dazu: Ich finde es schade und kann auch nicht verstehen, dass gerade bei uns deutschen Meeresanglern ein solch interessantes, abwechslungsreiches und auch noch bezahlbares Angelrevier so an Aufmerksamkeit und Anerkennung verloren hat. Liegt es vielleicht an der Größe, an der dort stark von der Jahreszeit abhängigen Angelsituation oder traut man einem europäischen Revier von Haus aus nicht mehr all zuviel zu? Am Fischreichtum und der Artenvielfalt kann es nicht liegen! Mir liegt hier aber fern zu behaupten, dass das Ebrodelta ein sehr einfach zu beangelndes Revier ist! Trotzdem, mit etwas anglerischem Geschick, Geduld, Anpassungsvermögen und der nötigen Anglerdemut müsste sich zumindest ein guter Fangerfolg auf Blaufisch (E.: Bluefish, L.: Pomatonius Saltatrix) einstellen – hart kämpfende Fische bis zehn Kilogramm am leichten Gerät, was will man eigentlich mehr?

Aber nur einfach die neuesten Wobbler oder teuersten Popper an die, mit einer japanischen Edelspinnrolle bestückten, hypersensiblen Supermatrix-Carbonrute binden und damit ziellos kreuz und quer schleppen bzw. wuchten, reicht hier in der Regel leider nicht aus. Auch muss man ein Außenborderboot (Bootsführerschein!) fahren können, die guten Angelplätze selbst finden, entsprechend angeln und auch alle Köderfischmontagen selbständig ausführen können. Im Delta war und bleibt der mit viel Fingerspitzengefühl geführte und/oder in der richtigen Ecke geschleppte Köderfisch der Topköder! Wobei nach meinem Dafürhalten hier im Delta der Köderfischfang die Herausforderung darstellt. Wie auch immer, für Reinhold Schwarzwälder und mich war auch 2008 das schlechte Ebro-Image die Herausforderung! Reinhold schlug deshalb auch einen späteren Termin vor: Im Oktober soll die Chance auf große Pallomettas (E.: Garrick oder Leerfish, L.: Lichia Amnia, „Pallometta“ ist der Name unter den deutschsprachigen Ebroanglern) höher sein. Dann aber, am Ende der Angelsaison, steigt leider auch das Risiko voll in den mediterranen Herbst-Wetterwechsel zu kommen. Etwas Nervenkitzel gehört bei uns immer dazu: „Kopf oder Zahl“ bzw. „höheres Schlechtwetterisiko gegen eine bessere Chance auf große Pallomettas“. „Wer nicht hören will muss fühlen“ – nach der Reisernte (hier ab Ende September) verlassen Myriaden von „Ebro-Vampier-Mücken“ die Felder um gezielt den Ebroanglern bei lebendigem Leib ihr Blut abzusaugen – ein Bekannter hatte uns noch gewarnt!

Unsere Anreise: Sozusagen auf den Spuren unserer „Sturm- und Drangzeit“ machten Christa und ich uns bereits Ende September auf den langen Weg: Über die Schweiz, quer durch das Jura, das Rhonetal entlang, immer weiter in Richtung Süden bis in die Hafenstadt Sète. Bei schönstem mediterranem Spätsommerwetter ging es dann an der Küste des Golfe du Lion weiter durch das Lonquedoc-Roussillon über Béziers, Perpignan bis zur spanischen Grenze. Dort wo die Ausläufern der Pyrenäen bis in Mittelmeer reichen, wohnt unser Angelfreund Jürgen Wendig. Eine Woche gingen ich mit ihm zum Angeln – aber das ist eine andere interessante und spannende Geschichte!

Am 4. Oktober treffen wir uns mit Reinhold und Dagmar in Riomar. Wir beziehen unseren Bungalow und übernehmen das Boot. Das Wetter ist noch angenehm. Die Wassertemperatur liegt um 20° und gefangen wurde in letzter Zeit auch recht ordentlich. Die Wetterprognose sieht aber leider etwas düster aus: Ein Sturmtief kommt aus NO. Na Ja, zwei Wochen sind wir hier, da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn das so bliebe. Dann erledigen wir halt gleich zu Anfang unsere Einkäufe und machen die geplanten Ausflüge. Das schlechte Wetter ist nach zwei Tagen vorbei; am vierten Tag hat sich die See dann endlich soweit beruhigt, dass wir es wagen können. Hier direkt vor der Ebromündung kann sich bereits bei leicht-stürmischer See, ohne Vorzeichen und von einem Moment auf den Anderen, eine Grundsee aufbauen.

Wer dann über der Sandbank schleppt oder stoppt, den holt der Klabautermann. Mindestens nasse Hosen und ein aufgesetztes Boot sind dann die Folge; schlimmstenfalls muss die Küstenwache ausrücken.

Erster erfolgreicher Angeltag: Der frühmorgendliche Köderfischfang läuft wie geschmiert: Ruck zuck haben wir zehn passende Meeräschen im Eimer. Danach kaufen wir noch ein und frühstücken gemütlich mit unseren Mädels. Jetzt erst eröffnen wir unsere Pallomettajagd 2008. Alles läuft wie geplant und gegen zehn Uhr sind wir im Fanggebiet. Unsere Köder laufen ordnungsgemäß – Pallomettas ihr könnt kommen! Gerade passieren wir an Steuerbord den letzten Ebrobogen. Instinktiv schaue ich auf die kurz laufende Meeräsche: Ein Pallometta greift gierig an: Er packt den Köder – wendet – Drop-Back – Reinholdo gibt Gas – Bremse rein – Fisch hängt.

Noch keine Stunde auf der Jagd und der erste Leckerbissen liegt bereits im Kasten. Reinhold macht schon den Plan für das Fischessen: „Soviel wird Sashimi-Sushi, der Rest kommt heute Abend auf den Grill. Ein „deutsches Vöglein“ hat uns gestern Abend noch gezwitschert: „Vor der Sandbank müsst ihr unbedingt in Richtung Leuchtturm…“ – also versuchen wir es zuerst mal in der entgegengesetzten Richtung. Unsere „Blaufisch-Freunde“ sind leider auch schon angereist: Ratsch, ratsch und nur noch Köderfischköpfe hängen an unseren Montagen. Schnell flüchten wir in Richtung Riomarstrand. Eigentlich ist das nicht unsere Lieblingsecke – bei aber nur noch zwei Meeräschen in Reserve, muss man halt Prioritäten setzen.

Es ist Mittag: Das schöne Wetter, die angenehme Brise, die Farben des Herbstes eingefasst vom Dunkelblau des Meeres und dem Hellblau des Himmels, die angenehme Herbstsonne auf der Haut; wenn dann noch ab und zu ein Fisch beißt – was will man eigentlich mehr? In solchen Momenten spüre ich die Leichtigkeit des Seins – allein schon deswegen liebe ich das Meeresangeln! Da war doch gerade was: Jetzt ist der Schatten wieder da – der Köderfisch fliegt in die Luft – jetzt packt er ihn – Drop-Back – Vollgas – kein Kontakt – was ist los? Plötzlich platscht es unmittelbar neben dem Boot; wir zucken zusammen: Ein großer Pallometta sprintet keine fünf Meter vom Boot entfernt davon: Vollgas – der Schnurbogen muss raus – jetzt habe ich endlich Kontakt. Der Pallometta biegt meine Stand-Up-Rute voll durch! „Das ist ein 30+“ meint der Ebromeister grinsend: „Den musst Du drillen wie einen Thunfisch und nicht nur einfach beidrehen wie einen Marlin“. Jetzt kommt der Fisch langsam näher. Reinhold greift zum Gaff; der Fisch spurtet noch einmal davon – kein Kontakt mehr. Ich kurbele frustriert ein. Die Montage ist nur leicht angeraut.

Zweiter erfolgreicher Angeltag: In der Früh endlich wieder sechs ordentlich Köderfische, so leicht wie am ersten Tag läuft der Köderfischfang leider nicht mehr ab. Es ist wie verhext, scheinbar liegen die Köderfische nur noch faul auf dem Grund. Keine an der Oberfläche ziehenden Schwärme mehr und die Seitenarme sind auch wie leer gefegt. Ohne Echolot bzw. punktgenaues Werfen wären wir verloren! Zu unserem „Köderfischglück“ kommen noch die gnadenlosen „Ebro-Vampire“. Da hilft kein Jammern und Flehen – da muss man durch, wenn man im Delta bestehen will! Heute suchen wir mal wieder unseren Strand ab; da müsste sich ja noch ein 30+ Pallometta oder vielleicht seine größeren Geschwister rum treiben!? Gegen Mittag wühlt ein großer Pallometta das Wasser hinter den Köderfischen auf; Reinhold ist an der Reihe: Vollgas – null Kontakt – jetzt greift er wieder an – erneut Vollgas – er packt nicht richtig zu – Reinhold dreht jetzt, einem schnell geschleppten Marlinlure gleich, die Meeräsche heran – der Pallometta ist immer noch da – greift blitzschnell an – Peng – hängt – das ist kein Kleiner! Zwanzig Minuten später liegt ein 154 Zentimeter langer, wunderschön gezeichneter Pallometta vor uns. Wir schätzen ihn auf dreißig Kilo. Ein großer Fisch pro Ausfahrt ist unsere selbst auferlegte Fangbegrenzung. Wir fahren auf direktem Weg zur Wiegstadion. Dabei fange ich auf Plastik einen Blaufisch!

Leider ist Reinholds Pallometta zwar lang aber nicht breit genug. Die Waage bleibt leider schon bei 22,2 kg stehen – egal, müsste trotzdem ein neuer IGFA-Leinenklassenrekord werden!?

Blaufisch-Tag: Heute ist Jürgen Wendling angekommen und mit ihm auch die „Blaufisch-Seuche“. Reinhold reagiert auf Blaufisch immer allergisch: „Besser nix fangen…“. Für Jürgen und mich aber gilt: „Besser ein Blaufisch-Angler als Angel-Schneider!“.

Reinhold grandelt weiter: „Ihr Blaufisch-Könige…“ und jammert bei jeder abgebissenen Meeräsche: „Meine wertvollen Äschen… für diese Drecksfische…“ Trotz mehrfachem Platzwechsel sind unsere Köderfische bald „verfüttert“. Dazwischen fängt Jürgen noch einen prächtigen Wolfsbarsch!

Unser schönster Pallometta-Angeltag: In der Früh war es heute wieder eine zähe und schweißtreibende Angelegenheit. Zu dritt fangen wir sieben Meeräschen: Vier sind ideal, drei könnte man auch für Marlin oder Großthunfisch her nehmen. Bis Mittag kein Fischkontakt – sogar die Blaufische fehlen. Da gibt es nur noch Eins, wir müssen wieder zu unserem Strand. Kaum dort, kommt auch schon der erste Biss. In nur zwei Meter tiefem Wasser attackiert ein großer Pallometta abwechselnd beide Köder, Jürgen ist dran: Vollgas – hängt – Sch… weg. Eine Viertelstunde später der nächste Biss. Jürgen versucht es mit seiner Spinnrute und einem Popper; ich soll ihm dabei den Pallometta mit der Meeräsche vor den Popper lotsen. Aber der Pallometta mag kein Plastik, sondern jagt brav weiter hinter der Meeräsche her: Peng – der Pallometta hängt ohne Drop-Back. Zwanzig Minuten später liegt ein schöner Fisch vor uns. Dieses „Angleropa-Team“ ist unschlagbar:

Nach mehreren Fehlbissen müssen wir die weiteste Rute neu bestücken; damit sich die Leinen nicht verheddern, lassen wir die zweite Rute kurz im Schraubenwasser laufen. Plötzlich, ein Fisch taucht direkt hinter dem Außenborder auf und attackiert wild; dabei spritzt das Wasser bis zu uns ins Boot. Leider ist unsere Köderfisch etwas zu groß bzw. der Pallometta kann ihn nicht voll packen. Nach einigen Minuten verliert er die Lust und verschwindet. Das kommt davon, wenn man mit Riesenmeeräschen auf Pallometta angelt. Kurz vor der Flusseinfahrt versuche ich es mal mit Jürgens Spinnrute und seinem Superplastik. Nach einigen Würfen tatsächlich ein Biss; zwar nur ein kleiner Pallometta, aber immerhin mein Erster auf Wobbler! Selbstverständlich wird der Fisch umgehend frei gelassen. Das Angelabenteuer „Ebro 2008“ ist wieder einmal zu meiner vollsten Zufriedenheit für mich zu Ende gegangen. Mit erneutem Wetterglück geht es zurück nach München. Reinhold bleibt noch vier Tage länger und fängt bei zwei Ausfahrten zwei Pallomettas mit zirka zehn und fünfzehn Kilogramm.

Dreizehn Angeltage waren Reinhold und ich beisammen, davon mussten fünf des schlechten Wetters wegen ausfallen. Vier gute Angeltage stehen also vier schlechten gegenüber !?

Robert Rein im Dezember 2008